Via Tomorrow consulting
ESG Einblicke
Helen Geyer, Mitarbeiterin bei Via Tomorrow
Helen Geyer
Expertin
Via Tomorrow

Helen war mehrere Jahre für verschiedene öffentliche Institutionen tätig mit einem Fokus auf Klimapolitik und Nachhaltigkeitskommunikation.

Für Via Tomorrow behält sie aktuelle politische ESG-Entwicklungen und -Anforderungen im Blick und bereitet sie verständlich und pointiert auf.

ESG – ein weiterer zahnloser Tiger der Nachhaltigkeit?

Immer wieder erscheinen Schlagzeilen zu ESG-Greenwashing oder überzogener Werbung für nachhaltige Produkte, die anschließend gerichtlich geahndet werden. Und auch darüber hinaus steht ESG in der Kritik: zu wenig Substanz, zu wenige Resultate, zu wenig (echte) Nachhaltigkeit. Was ist dran an der Kritik? Und was denken wir bei Via Tomorrow dazu?

Mit diesem Tweet entbrannte im Mai eine heftige Debatte über ESG und dessen Sinnhaftigkeit. Mit seiner Kritik ist der Tesla-Chef Elon Musk vor allem in den USA nicht alleine. Mehrere Republikaner:innen, darunter der ehemalige amerikanische Vizepräsident Mike Pence oder der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, kritisieren ESG immer wieder stark. So bezeichnete Mike Pence ESG als eine Taktik aus dem politischen linken Spektrum, um damit im “Corporate America” die “radikale Umwelt- und Sozialagenda” durchzusetzen, die sonst an der Wahlurne nicht erreicht würde.

Doch auch andere kritische Stimmen zu ESG werden laut. Erst im Juli veröffentlichte The Economist einen “Special Report” zum Thema ESG. In vielen Zeitschriften wird über Greenwashing oder die Abwanderung von Anlegern bei ESG-Fonds berichtet. Schlagzeilen wie vom Greenwashing der DWS sorgen für Unmut und Unsicherheit am Kapitalmarkt und werfen zudem ein schlechtes Licht auf die Bemühungen von Firmen, die ESG Kriterien in ihren Alltag integrieren. Der Tenor in jeder Berichterstattung: ESG ist an sich keine schlechte Idee, aber es muss noch unglaublich viel getan werden, damit es ein sinnvolles Tool für Nachhaltigkeit in Unternehmen sein kann. Doch was genau sind die Vorwürfe an ESG?

 

Die 4 größten Kritikpunkte an ESG


1.
ESG-Reports sind nicht vergleichbar

Die Kritik: ESG-Reports sind nicht vergleichbar und dementsprechend berichten Unternehmen nur über Aktivitäten, die sie in einem guten Licht dastehen lassen. Andere Bereiche werden schlichtweg weniger genau betrachtet. Die Berichtskriterien werden individuell so gestaltet, dass sie dem Unternehmen einen Vorteil geben.

Leider ist der Vorwurf aktuell noch häufig wahr. Bisher gibt es noch keine weitläufig angewandten internationalen Standards für ein ordentliches ESG-Reporting. Aber es gibt Aussicht auf Besserung: Unter anderem vom International Sustainability Standards Board (ISSB) der IFRS soll es bald einheitliche ESG-Reportingstandards geben. Der erste Entwurf wird zum Ende des Jahres 2022 erwartet. Einheitliche ESG-Reportingvorgaben erlauben es wiederum, dass Ratingagenturen sowie Verbraucher:innen sich ein besseres Verständnis von Unternehmen und deren Nachhaltigkeitsaktivitäten verschaffen.


2.
ESG ist nur Greenwashing

Die Kritik: Nach den neuesten Untersuchungen bei Goldman Sachs sowie DWS im letzten Jahr ist der Vorwurf des Greenwashing naheliegend. Zurecht: Die laufenden Ermittlungen erhärten den Eindruck, dass gerne falsche Versprechungen gemacht werden. Und das schadet dem Ruf der ganzen Branche. Aber gilt das für alle Firmen, die sich Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben haben? Sicherlich nicht. So wie in vielen Fällen muss hier individuell abgewogen werden, ob die Versprechen des Unternehmens realistisch und glaubwürdig sind. Am besten geeignet dafür: die jährlich veröffentlichten Nachhaltigkeitsberichte. Darin wird aufgeschlüsselt, wie sich das Unternehmen im Bereich Umwelt- bzw. Klimaschutz und bei sozialen Faktoren engagiert und inwiefern Maßnahmen getroffen oder Projekte umgesetzt wurden. Nur so können sich Rezipient:innen eigene Urteile über die Bemühungen der Unternehmen bilden.

3. ESG bringt nichts

Die Kritik: Reporting ist ja schön und gut, aber was bringen uns jährliche, auf Nachhaltigkeit getrimmte Berichte, wenn darauf keine konkreten Aktionen folgen, die tatsächlich eine Änderung mit sich bringen?

Auch hier ist es wichtig, beide Seiten der Medaille zu sehen. Denn: Wenn wir nicht wissen, was die Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit wirklich tun, können wir uns als Partner:innen oder Verbraucher:innen auch keinen Überblick verschaffen, welche Unternehmen wir weiterhin unterstützen wollen. Das (einheitliche) Reporting legt den Grundstein für Vergleichbarkeit. Und darauf basierend kann dann die Entscheidung getroffen werden, welche Unternehmen weiterhin unterstützt werden sollen und welche nicht.

4. ESG schadet dem Business

Die Kritik: Diese Aussage kommt, wie eingangs bereits erwähnt, vor allem von Republikaner:innen aus den USA. ESG schadet dem Business und sei einfach nur dafür gemacht, um eine ideologische Agenda durchzusetzen.

Dieser Kritikpunkt ist auf zwei Arten problematisch. Der Ansatz mancher Republikaner:innen, ESG-fördernde Firmen einfach in ihrem Bundesstaat zu verbannen, arbeitet gegensätzlich zur eigenen Argumentation. Wie soll ein Wirtschaftssystem florieren, wenn manche Firmen vom Markt ausgeschlossen werden? Darüber hinaus ist dies auch ein deutliches Zeichen an andere Unternehmen – wer sich ums Klima kümmert, ist hier nicht erwünscht.

Der zweite Punkt ist grundsätzlicher Natur: wollen wir weiterhin Firmen unterstützen, deren Geschäftsmodell auf der Ausbeutung von Menschen und planetaren Ressourcen basiert? Studien zufolge schadet der Klimawandel der Wirtschaft auf lange Sicht mehr, als dass es sich lohnen würde, so weiter zu wirtschaften. Schon der Club of Rome beschrieb in seinem Bericht 1972  “Grenzen des Wachstums” genau dieses Problem: die Ressourcen unserer Erde sind begrenzt.

In a nutshell: Warum die Kritik überzogen ist

Während all diese Kritikpunkte zumindest im Ansatz berechtigt sind, fehlt es ihnen allen an einer entscheidenden Zutat: einer probaten Alternative zu dem, was ESG aktuell (noch) ist. Schließlich müssen nicht nur die Politik, NGOs und Einzelpersonen, sondern auch Unternehmen mehr tun, um die großen ökologischen und sozialen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft anzugehen.

Wer also fordert, das, wofür “ESG” steht, einfach abzuschaffen, schießt über das Ziel hinaus. Dafür kann es eigentlich nur zwei Gründe geben. Zum einen Ignoranz gegenüber der Wichtigkeit von Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungs-Themen. Oder schlichtweg eine zu große Ungeduld, dass Anpassungen im Bereich ESG nicht von heute auf morgen passieren können. Dabei wird gerne vergessen, dass die Entwicklung einheitlicher und verlässlicher Finanz(-reporting)standards, die heute selbstverständlich erscheinen, viele Jahrzehnte gedauert hat – und von deutlich größeren Skandalen vorangetrieben wurde, als man sie heute im ESG-Bereich findet. Klar ist aber: Jahrzehntelang darf es bei nichtfinanziellen Kennzahlen nicht dauern – aber ein bisschen mehr Geduld wäre dennoch wünschenswert. Und vielleicht sollten die heftigsten ESG-Kritiker:innen ihre Energie lieber dafür einsetzen, ESG besser zu machen, als es zu zerstören …

Die Wichtigkeit von ESG ist auch Ihnen bewusst? Dann melden Sie sich gerne – wir unterstützen Sie effizient und pragmatisch bei Ihren nächsten Schritten!

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