Via Tomorrow consulting
ESG Einblicke
Helen Geyer, Mitarbeiterin bei Via Tomorrow
Helen Geyer
Expertin
Via Tomorrow

Helen war mehrere Jahre für verschiedene öffentliche Institutionen tätig mit einem Fokus auf Klimapolitik und Nachhaltigkeitskommunikation.

Für Via Tomorrow behält sie aktuelle politische ESG-Entwicklungen und -Anforderungen im Blick und bereitet sie verständlich und pointiert auf.

Net Zero – was steckt hinter der grünen Null?

Immer mehr Unternehmen werben damit, “klimaneutral” zu sein. Doch was genau steckt hinter diesem Konzept und der populären Bezeichnung “Net Zero”? Können Unternehmens-aktivitäten wirklich klimaneutral sein oder ist das sogenannte Kompensieren von CO2-Emissionen mehr Schein als Sein? 

Mittlerweile sprechen viele Unternehmen darüber – und sie versprechen viel. Der niederländische Ölkonzern Shell möchte bis 2050 – oder sogar früher – klimaneutral bzw. sogar “klima-positiv” werden. Der Automobilkonzern Volkswagen will “bis 2050 bilanziell CO2-neutral […] werden”. Und der Lebensmitteldiscounter ALDI Süd sieht sich als “der erste Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland, der klimaneutral handelt”.

Doch was genau steckt hinter den hochtrabenden Versprechen der Klimaneutralität?

Net Zero: Das Konzept hinter der konstruierten Null

Ob “klimaneutral”, “Net Zero” oder “carbon neutral”: diese Begriffe bedeuten alle das gleiche. Es geht darum, klimaschädliche Treibhausgase in der Atmosphäre möglichst auf Null zu fahren, indem sie wieder gebunden werden. Der Weltklimarat (IPCC) definiert “Net Zero Emissions” wie folgt: “Netto-Null-Emissionen werden erreicht, wenn alle menschengemachten Treibhausgasemissionen in der Atmosphäre durch den ebenso menschlichen Abbau der Atmosphäre wieder entzogen werden”. Der “menschliche Abbau” findet zum Beispiel durch Aufforstung oder noch sehr teure Carbon-Capture-Projekte  statt – oder eben durch die Kompensation von bereits vorhandenen Emissionen. 

In die Definition von “Klimaneutral” werden jedoch alle Treibhausgase einbezogen, die den Klimawandel beschleunigen: Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4), Lachgas (N2O) sowie sogenannte “fluorierte Treibhausgase” (F-Gase). Laut dem Umweltbundesamt war 2020 freiwerdendes CO2 (87,1%) für den Großteil der Treibhausgase in Deutschland verantwortlich. Viele Unternehmen konzentrieren sich daher nur auf den eigenen CO2-Ausstoß und Maßnahmen, um ihn zu reduzieren – oder eben “auszugleichen”.

Einen Schritt weiter als “Net Zero” gehen Unternehmen, die “Net Positive” werden wollen. So bezeichnen sich Unternehmen, die mehr Emissionen kompensieren, als sie selber ausstoßen. Diese “positive CO2-Bilanz” suggeriert ein besonders klimafreundliches Verhalten – aber sind die Projekte, mit denen der CO2-Ausgleich geschaffen wird, auch wirklich nachhaltig? 

Die umstrittenen Kompensations-Zertifikate

Weil die Reduktion von CO2-Emissionen für viele Unternehmen mit erheblichem Aufwand verbunden ist, ist die beliebteste Form, um als Unternehmen auf “Net Zero” zu kommen, die sogenannte CO2-Kompensation. Die Funktionsweise: wer emittiert, soll dafür zahlen – damit mit diesem Geld an anderer Stelle wieder CO2 gebunden wird. Bekannte Anbieter, die solche CO2-bindenden Projekte anbieten, sind im deutschsprachigen Raum unter anderem Atmosfair, MyClimate oder ClimatePartner; mit letzteren kooperiert beispielsweise ALDI Süd.

Alle dieser Kompensationsanbieter investieren in Projekte – überwiegend in Ländern in Südostasien, Afrika oder Lateinamerika – die den Klimaschutz, die Bindung von bereits emittiertem CO2 oder die Vermeidung von zukünftigen Emissionen fördern sollen. Die Projekte sind dabei ganz unterschiedlicher Art: die wohl bekanntesten sind Aufforstungsprojekte in Europa oder weltweit. Andere Projekte fördern beispielsweise den Ausbau von erneuerbaren Energien in Entwicklungsländern. Dabei liegt der Fokus vor allem auf Solarenergie oder Wasserkraft mit dem Ziel, zukünftiges CO2 zu vermeiden.
 

Wie klimafreundlich sind die Projekte wirklich?

Bäume-CO2-Bindung

Solche Kompensationsprojekte sind oft umstritten – es gibt viele Projekte, die auf dem Papier gut klingen, aber effektiv viel weniger einbringen als beworben. Wer sich für eine CO2-Kompensation entscheidet, sollte deshalb auf die Standards der Projekte achten. Der wichtigste hierbei ist der sogenannte “Gold Standard CER”. Laut Umweltbundesamt werden hier nur Projekte zertifiziert, die “nachweislich zur Reduktion von Treibhausgasen führen und gleichzeitig gut für die lokale Umwelt und soziale Belange der Bevölkerung sind”. Die populären Aufforstungsprojekte zählen dabei allerdings nicht. Zwar entziehen Bäume während des Wachstums der Atmosphäre viel CO2, müssen jedoch über ihre gesamte Lebensdauer auch entsprechend gepflegt werden. Ein Baum, der nach wenigen Jahren wieder stirbt, gibt das zuvor kompensierte CO2 wieder an die Atmosphäre ab – zuletzt standen deshalb zahlreiche Projekte in der Kritik, wie zum Beispiel die Stiftung “Plant for the Planet”. Zusätzlich dazu bleibt auch die Berechnung des emittierten CO2 im Vergleich zum tatsächlich eingesparten CO2 weiterhin schwierig. 

Der übergeordnete Kritikpunkt am Themenkomplex CO2-Kompensation ist jedoch grundsätzlicher Natur: auch bei nachweislich sinnvollen CO2-Kompensationsprojekten kaufen sich Unternehmen prinzipiell einfach nur frei – was Kritiker gerne als moderne Form des Ablasshandels sehen. Denn Unternehmen, die einfach nur günstig kompensieren, haben nur einen verminderten Anreiz, die tatsächlichen eigenen Emissionen zu reduzieren – und bewerben sich trotz teils weiterhin erheblicher eigener Emissionen offensiv als “klimaneutral”. Bis zum Vorwurf des Greenwashings ist es damit nur noch ein kleiner Schritt – folgerichtig hat die Deutsche Umwelthilfe dieses Jahr rechtliche Schritte gegen mehrere Unternehmen angedroht, die mit Klimaneutralität werben.

Ein zusätzliches Problem beim reinen Fokus auf die CO2-Kompensation steckt im Namen: man konzentriert sich nur auf CO2 und lässt andere Treibhausgase, wie Methan oder Lachgas, außen vor.

Statt CO2-Kompensation: Was ist nachhaltiger?

Immer wieder steht auch die generelle Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit von CO2-Kompensation in der Kritik. Die CO2-Kompensation ist nach Ansicht vieler eine Ausrede, um das eigene, klimaschädliche Verhalten nicht zu ändern, insbesondere bei Unternehmen. Zurecht: die beste Variante zum Klimaschutz ist und bleibt die grundsätzliche Vermeidung oder Verringerung von Emissionen. 

Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, dass die CO2-Bilanz des Unternehmens regelmäßig überprüft wird, um Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Verbesserungen könnten bereits durch kleine Schritte umgesetzt werden, wie zum Beispiel durch adäquate Mülltrennung im Büro oder das Anbieten von regionalen Gerichten in der Mensa. Weitere schnelle und sinnvolle Maßnahmen sind der Umstieg auf E-Mobilität im Unternehmen, die Förderung von ÖPNV oder Fahrrädern sowie der Wechsel zu erneuerbaren Energiequellen. Ein CO2-Ausgleich sollte für Unternehmen deshalb nicht der erste Schritt sein, sondern das Sahnehäubchen, wenn es alle realistischen Möglichkeiten zur Treibhausgas-Vermeidung und -Reduzierung ausgeschöpft hat. 

Was ist die beste Option für Ihr Unternehmen? CO2-Reduktion oder -Kompensation?  Kontaktieren Sie uns gerne für ein unverbindliches Beratungsgespräch.

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