ESG-Ratingagenturen wollen bewerten, wie nachhaltig die Bemühungen von Unternehmen sind. ESG-Performances sollen so für Investoren vergleichbarer werden, damit sie ihr Geld effektiver nachhaltig anlegen können. Doch erreichen die Ratingagenturen ihr Ziel wirklich?
Ihre Urteile sind gefürchtet – oder begehrt. Sie entscheiden über Wohl und Wehe einer Fonds- oder Index-Aufnahme. Und sie stehen zunehmend in der Kritik: ESG-Ratings.
Über 600 von ihnen gab es bereits 2020 – und seitdem sind es nicht weniger geworden. Am bekanntesten sind ESG-Ratings, die von einem umfassenden Report begleitet werden und die 360°-Performance von Unternehmen in den Dimensionen Umwelt-, Sozial- und Unternehmensführungsthemen bewerten.
In den letzten Jahren sind jedoch immer spezifischere ESG-Ratings dazugekommen – von „Temperatur Scores“ [Arabesque, MSCI] über Ratings, die sich an den Sustainable Development Goals (SDGs) orientieren [ISS, Sustainalytics] bis hin zu monothematischen ESG-Ratings, z.B. zum Thema „Wasser“ [CDP, ISS] – es ist scheinbar für alle was dabei.
Ab wann Unternehmen von ESG-Ratingagenturen bewertet werden
Um bewertet zu werden, muss ein Unternehmen zunächst eine gewisse Größe erreicht haben, bevor es ins Visier der ESG-Ratingagenturen gerät. Die größten Ratingagenturen vergeben mittlerweile für weit über 10.000 Unternehmen jährlich ein ESG-Rating – viele Small- und Micro-Caps werden aber noch nicht bewertet. Für in Deutschland börsennotierte Unternehmen gilt deshalb die Faustregel: Wer mindestens im S-DAX ist, wird mit Sicherheit von einer oder mehr ESG-Ratingagenturen bewertet.
Wer aufgrund einer geringeren Marktkapitalisierung (noch) nicht mindestens im S-DAX ist, darf sich allerdings auch nicht in Sicherheit wiegen. Denn auch kleinere Unternehmen können bereits bewertet worden sein. Das ist dann der Fall, wenn ein bestehender größerer institutioneller Investor ein ESG-Rating auf eigene Kosten in Auftrag gibt.
Zudem plant die EU, im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) zukünftig noch mehr Unternehmen zum ESG-Reporting zu verpflichten – Schätzungen zufolge soll die Zahl berichtspflichtiger Unternehmen in der EU in wenigen Jahren von aktuell knapp 12.000 auf über 50.000 Unternehmen anwachsen. Die neue Datenfülle wird es ESG-Ratingagenturen deutlich erleichtern, mehr Unternehmen ins Visier zu nehmen.
Darüber hinaus gibt es bei vielen ESG-Ratingagenturen die Möglichkeit, gegen Bezahlung selbst ein ESG-Rating in Auftrag zu geben. Darauf greifen beispielsweise Unternehmen zurück, die in Privatbesitz sind und/oder einen Börsengang planen. Das Ziel: eine externe Verifizierung der ESG-Bemühungen zu erhalten und interessierten Investoren vorzulegen.
So funktionieren ESG-Ratings
Das Geschäftsmodell von ESG-Ratingagenturen besteht darin, ihre ESG-Ratings an Investoren zu verkaufen. Dazu geben sie Investoren bezahlten Zugriff auf ihr gesamtes ESG-Ratinguniversum. Um konkurrenzfähig zu sein, müssen sie möglichst viele ESG-Ratings zur Verfügung stellen, damit Investoren Ratings zu möglichst allen Unternehmen finden, an denen sie Anteile halten oder zukünftig halten wollen.
Zur Erstellung eines ESG-Ratings analysiert die Agentur die aktuellen veröffentlichten ESG-Informationen des Unternehmens. Für einige Indikatoren wird auch auf externe ESG-Datenquellen zurückgegriffen – beispielsweise zur Menschenrechtslage in den Ländern, in denen das Unternehmen aktiv ist. Zusätzlich werden ESG-Kontroversen mit einbezogen, die zu Score-Abzügen führen können. Diese Kontroversen findet die Ratingagentur meist in Medienberichten oder Social-Media-News. Aufgrund ihrer schieren Größe werden aufgrund von Kontroversen aber meist nur Large- und Mega-Caps abgestraft.
Die wichtigsten ESG-Ratingagenturen im Überblick
Die Platzhirsche im ESG-Ratingmarkt weltweit heißen MSCI, Sustainalytics und ISS. Nicht nur bewerten diese drei Akteure die meisten Unternehmen, sondern sie besitzen auch darüber hinaus marktrelevante Eigenschaften, die ihre Relevanz für Investoren steigern.
MSCI ist der weltweit größer Indexanbieter. Die von MSCI konstruierten Indizes werden von Asset Managern für ETFs und weitere Anlageprodukte genutzt. Die starke Position bei „klassischen“ Aktienindizes weiß MSCI auch für ESG-Indizes zu nutzen. ESG-Ratings von MSCI fließen direkt in zahlreiche MSCI-ESG-Indizes ein, was wiederum Asset Managern ihre Nutzung für eigene Fondsprodukte erleichtert, ohne eigenen ESG-Research betreiben zu müssen.
Sustainalytics ist eine ESG-Ratingagentur aus den Niederlanden. Sie wurde 2020 vollständig von Morningstar übernommen. Morningstar ist ein internationales Finanzservice-Unternehmen, das sich auf Aktien- und Fondsanalysen spezialisiert hat. Im Bereich ESG vergibt Morningstar beispielsweise aggregierte ESG-Bewertungen von Fonds, und kann nun auch auf die Expertise von Sustainalytics setzen, um die eigene Angebotspalette zu stärken und zu erweitern.
ISS ist klassischerweise ein Stimmrechtsberater, der Asset Managern bei Abstimmungen zu ihren Portfolio-Unternehmen in Hauptversammlungen unterstützt. Seit mehreren Jahren hat ISS auch ein starkes ESG-Standbein aufgebaut – unter anderem durch strategische Zukäufe wie die deutsche ESG-Ratingagentur oekom Research – und wurde als Ganzes 2020 von der Deutschen Börse akquiriert. Qontigo, eine Tochterfirma der Deutschen Börse, die u.a. die DAX- und STOXX-Indizes kreiert, setzt bereits heute auf ESG-Informationen von ISS – und die Nutzung der ESG-Ratings von ISS für Produkte der Deutschen Börse dürfte zukünftig weiter zunehmen.
Aber auch klassische Kreditratingagenturen wie S&P und Moody’s holen im ESG-Markt auf. Ein Vorteil für sie: die marktbeherrschende Stellung bei Kreditratings. Indem sie ESG-Informationen in ihre Kreditratings integrieren, können sie Investoren finanzielle und nicht-finanzielle Bewertungen aus einer Hand anbieten. Wie ernst es die Kreditratingagenturen mit ihrer ESG-Aufholjagd meinen, zeigte sich 2019 durch hochkarätige Übernahmen: S&P kaufte die niederländischen ESG-Ratingagentur RobecoSAM und Moody’s erwarb die französischen ESG-Ratingagentur Vigeo Eiris.
Dann gibt es noch die großen Datenprovider wie Bloomberg, Refinitiv oder Factset, die ihre Finanz-Datenbanken um ESG-Daten erweitern. Dabei setzen sie ausschließlich auf Algorithmen und sammeln und bewerten überwiegend nur diejenigen ESG-Informationen, die Unternehmen selbst öffentlich berichten.
Schließlich gibt es noch die themenspezifischen Ratings: So sind CDP für Umweltratings oder Vigeo Eiris für Lieferketten-Ratings führend. Letztere Ratings können auch Unternehmen betreffen, die gar nicht börsennotiert sind, aber Teil der Wertschöpfungskette anderer Unternehmen, die über ESG berichten müssen.
Wohin geht die Reise für ESG-Ratings?
Erste Konsolidierungstrends bei ESG-Ratingagenturen deuten darauf hin, dass der Markt verschiedener ESG-Ratinganbieter in Zukunft voraussichtlich etwas übersichtlicher werden wird. Das muss allerdings nicht bedeuten, dass auch die Zahl der ESG-Ratings selbst schrumpfen wird, da die großen Anbieter weiterhin zahlreiche neue thematische ESG-Ratings aufsetzen. Wer sich mehr Übersichtlichkeit wünscht, muss deshalb auf strengere regulatorische Vorgaben setzen. Die europäische Wertpapieraufsichtsbehörde ESMA hat das Problem zumindest erkannt – doch der Weg zu einer Lösung ist noch weit.
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