Seit diesem Jahr sollen große börsennotierte Unternehmen ihren eigenen Nachhaltigkeitsgrad nach den Vorgaben der sogenannten EU-Taxonomie bestimmen. Doch die ersten Ergebnisse sind ernüchternd: Mehr als ein Drittel der Unternehmen gibt an, dass genau 0% der eigenen Umsätze nachhaltig sind. Werden sie bald in Sachen ESG abgehängt, weil die Taxonomie-Kriterien zu streng und unausgereift sind?
Anfang 2022 hat die EU beschlossen, dass die Energieerzeugung mit Atomkraft und Gas im Rahmen der sogenannten EU-Taxonomie in neuen Kraftwerken als nachhaltig einzustufen ist. Eine Entscheidung, die damals bereits auf Kritik stieß: Atomkraft und Erdgas – kann man diese Energieträger wirklich als „nachhaltig“ bezeichnen? Binnen weniger Monate ist diese Entscheidung der EU-Gremien noch schlechter gealtert: Kann die zukünftige Energie-Erzeugung mit russischem Gas ernsthaft noch als „nachhaltig“ bezeichnet werden?
Und das ist nur einer von mehreren Aspekten, die drohen, die EU-Taxonomie noch vor ihrer vollständigen Umsetzung in den nächsten Jahren zu diskreditieren. Aber was steckt überhaupt hinter der EU-Taxonomie?
EU-Taxonomie: Der Versuch, „Nachhaltigkeit“ genau zu definieren
Die Finanzwirtschaft legte in den vergangenen Jahren einen Nachhaltigkeits-/ESG-/CSR-Fonds nach dem anderen auf, das Volumen nachhaltiger Investments wurde zur am stärksten wachsenden Assetklasse, immer mehr Unternehmen veröffentlichten transparent ihre Nachhaltigkeitsbemühungen – also alles gut, oder?
Nicht ganz. Die EU merkte schnell, dass „Nachhaltigkeit“ drohte, zum beliebigen Begriff zu werden – mit allen negativen Greenwashing-Konsequenzen, die damit einhergingen. Deshalb machte sie sich daran, die simple Frage zu beantworten: Was ist überhaupt nachhaltig?
Aber schon bald stellte sich heraus, dass die Beantwortung gar nicht so simpel ist. Denn die Antwort lautete: EU-Taxonomie – und umfasst bereits heute über 500 Seiten „Technical Annex“, in dem für verschiedene Branchen und Wirtschaftstätigkeiten genau festgelegt ist, ab wann sie als nachhaltig gelten und ab wann nicht.
Die Mängel der aktuellen EU-Taxonomie
Und diese 500+ Seiten sind erst der Auftakt. Denn viele Branchen, wie z.B. die Pharma- oder die Retailbranche, sind dort noch gar nicht erfasst. Auch sind erst für zwei der vier geplanten Nachhaltigkeits-Bereiche nachhaltige Aktivitäten definiert: für „Climate Change Mitigation“ und „Climate Change Adaption“. Taxonomie-Definitionen für die geplanten Themenfelder „Water Resources“, „Circular Economy“, „Pollution Control“ und „Protection of Ecoystems“ stehen dagegen noch aus.
Wie ernüchternd die Auswirkungen dieser Unvollständigkeit sind, zeigt sich im Reporting von Unternehmen, die dieses Jahr erstmalig zur Darstellung von Umsätzen, CapEx und OpEx nach den „Eligibility“-Kriterien der EU-Taxonomie verpflichtet waren. Das bedeutet: Wie viel Prozent des Umsatzes qualifiziert sich theoretisch als „nachhaltig“?
Die Beratungsgesellschaft PwC hat das erstmalige Taxonomie-Reporting von 50 börsennotierte Unternehmen aus DAX, MDAX und SDAX analysiert – und herausgefunden, dass ganze 38% von ihnen angaben, dass sie aktuell keinen Umsatz haben, der „taxonomy-eligible“ ist. Und von den 9 Branchen, die untersucht wurden, konnten nur zwei einen durchschnittlichen Taxonomie-fähigen Umsatz von mehr als 50% aufweisen: Automotive und Real Estate. Der Rest lag im Schnitt unter 25%.
Auch EU-weit sieht das Bild ernüchternd aus. Das “Joint Research Center” (JRC) der EU-Kommission hat 2021 untersucht, wie viel der EU-weit investierbaren Wirtschaftsaktivitäten gemäß des Klimaziels „Climate Change Mitigation“ theoretisch Taxonomie-fähig sind und kam auf einen Wert von lediglich 15,1%. Den praktischen Wert – das „Taxonomy Alignment“, das Unternehmen ab 2023 berichten sollen – bezifferte das JRC sogar nur auf magere 1,3% in der gesamten EU.
Ist die EU-Taxonomie noch zu retten?
Unter diesen Bedingungen dürfte es Investoren künftig entsprechend schwerfallen, allein anhand der Taxonomy-Alignment-Quote einzelner Unternehmen oder ganzer Fonds zu entscheiden, welches Unternehmen mehr zu Nachhaltigkeit beiträgt und welches weniger – zumal die aktuelle Taxonomie sich ausschließlich auf ökologische Nachhaltigkeitskriterien bezieht.
Mit der Social Taxonomy will die EU auch dieses Thema angehen. Dadurch hätten Unternehmen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen einen positiven sozialen Beitrag leisten, mit verbindlichen Kriterien die Möglichkeit, eine konkrete soziale Nachhaltigkeits-Quote für Umsatz, CapEx und OpEx anzugeben. Insbesondere Unternehmen mit geringem Umweltimpact, die von der aktuellen EU-Taxonomie kaum oder nicht erfasst werden – wie beispielsweise die erwähnte Pharma-Industrie – erhalten damit die Möglichkeit, sich als nachhaltige Unternehmen zu positionieren.
Die Frage dabei ist nur: Wie soll die EU das alles zeitnah schaffen? Schon die aktuelle EU-Taxonomie ist nicht fertig, geschweige denn von Unternehmen und Asset Managern implementiert. Viele Unternehmen sind bereits jetzt genervt von den gesteigerten Anforderungen, die die EU-Taxonomie an sie stellt und haben allein zum Thema Taxonomy Eligibility in ihren diesjährigen Berichten laut PwC im Schnitt knapp 700 Wörter geschrieben. Wie die weiteren Taxonomie-Anforderungen bewältigt werden sollen, ist unklar – und umso frustrierender, wenn die EU-Taxonomie den Kapitalmarkt am Ende gar nicht interessiert.
Wie soll Ihr Unternehmen am besten mit der EU-Taxonomie umgehen? Wir unterstützen Sie gerne bei einer effizienten Umsetzung, die alle regulatorischen Anforderungen erfüllt. Kontaktieren Sie uns für ein unverbindliches Beratungsgespräch.